Gottesdienst für den vierten Advent
Text: 2.Kor 1,18-22
Erinnert sich noch jemand an Radio Eriwan? Für die, die es nicht mehr tun: Das war ein fiktiver Sender, über den man sich in der alten Sowjetunion zahllose Witze erzählte. Mit hintersinnigen Antworten auf Hörerfragen machte sich Radio Eriwan immer wieder über die Verlogenheit der sowjetischen Propaganda lustig.
Zum Beispiel so: Frage an Radio Eriwan: „Stimmt es, dass der Genosse Kulikow auf dem letzten Parteitag in Moskau für seine Verdienste ein Auto geschenkt bekommen hat?“ Antwort: „Im Prinzip Ja. Aber es war nicht auf dem Parteitag, sondern bei einer Bezirksversammlung in Nowosibirsk. Außerdem war es kein Auto, sondern ein Fahrrad. Und es ist ihm nicht geschenkt, sondern gestohlen worden.“ Radio Eriwan macht uns damit wünschenswert deutlich, dass „im Prinzip Ja“ eigentlich „Nein“ heißt.
Nun ist die Sowjetunion zwar längst passé (wenn auch leider nicht ihre Herrschaftsmethoden), und um Radio Eriwan ist es still geworden. Aber „im Prinzip Ja“ heißt immer noch „Nein“.
Zum Beispiel bei folgender Frage: Stimmt es, dass Donald Trump für seine Verdienste um den Weltfrieden einen Preis verliehen bekommen hat? Im Prinzip Ja, aber erstens wear es nicht der Friedensnobelpreis, sondern nur eine Friedensmedaille der FIFA. Zweitens hat er sie nicht verliehen bekommen, sondern sich selber umgehängt. Und drittens stimmt es nicht, dass dort, wo er angeblich Kriege beendet hat, wirklich Frieden herrscht, wie sehr er sich auch damit brüsten mag.
Oder bei dieser hier: Stimmt es, dass die dreißigste Weltklimakonferenz in Brasilien daran festgehalten hat, die von Menschen verursachte globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken zu wollen? Im Prinzip Ja, aber es stimmt nicht, dass dieses Ziel noch zu erreichen ist. Und es stimmt auch nicht, dass auch nur ansatzweise genug getan wird, um sich wenigstens in diese Richtung zu bewegen.
So geht es tagaus, tagein – und das nicht nur bei den Politikern: Wir nehmen uns viel vor, aber wir setzen es nicht in die Tat um. Wir haben unsere Prinzipien, aber wir werfen sie immer dann über Bord, wenn es ernst wird. Wir versprechen viel und wissen dabei schon, dass wir wenig halten können. Wir sagen Ja, und meinen eigentlich Nein.
Das ist nicht neu. Auch dem Apostel Paulus hat man solches schon vorgeworfen. Als er den ersten Korintherbrief schrieb, da hatte er der Gemeinde in Korinth versprochen, dass er sie bald besuchen würde. Aber dann hatte er seine Pläne mehrmals geändert und den Besuch hinausgeschoben. Wohlüberlegt und mit guten Gründen, wie er fand. Aber die Korinther waren darüber gar nicht erbaut. „Typisch Paulus“, sagten sie. „Man weiß bei ihm nie, wo man dran ist: Mal hü, mal hott, mal Ja, mal Nein, kommste heut nicht, kommste morgen! Und wenn das schon bei seinen Reiseplänen so geht, wie steht es dann mit seiner Botschaft, mit dem Evangelium von Jesus Christus? Woher sollen wir wissen, ob man sich dabei auf ihn verlassen kann, wenn das schon bei seinen Besuchsankündigungen nicht klappt?“
Paulus erkennt die Gefahr. Nichts wäre schlimmer für ihn, als mit seiner Botschaft für die Korinther unglaubwürdig zu werden. Deshalb schreibt er ihnen wieder einen Brief. Er legt ihnen die Gründe dar, warum er seinen Besuch verschoben hat, er wirbt um Verständnis, und vor allem möchte er jeden Makel von der Glaubwürdigkeit des Evangeliums fernhalten. Warum ihm das so wichtig ist, das sagt er im heutigen Predigttext. Er steht im zweiten Korintherbrief, in Kapitel 1:
Bei der Treue Gottes, unser Wort an euch ist nicht Ja und Nein zugleich. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zur Ehre.Gott ist’s aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt hat und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.
Für mich enthält dieser Text eine unheimlich befreiende Aussage, und die lautet: Gott sagt Ja. Nicht „Ja, aber“, nicht „Ja, wenn“, nicht „Ja, vielleicht“, sondern schlicht und einfach Ja. Er sagt Ja zu seinen Verheißungen. Und weil diese Verheißungen den Menschen gelten, sagt er Ja zu dir und mir: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir. (Jes 43,1) Und dieses Ja“, sagt Gott, „wird niemals mein dummes Geschwätz von gestern sein. Nichts und niemand kann mich davon abbringen, auch du selber nicht. Es kann sein, dass alle zu dir Nein sagen, dich für zu dumm, zu alt, zu unwichtig oder zu hässlich halten. Ich sag trotzdem Ja zu dir. Es kann sein, dass du Nein zu mir sagst, dass du mich vergisst, mich totschweigst, nichts mehr von mir wissen willst. Ich sag trotzdem Ja zu dir. Vielleicht ist es im Moment in dir und um dich herum zu laut, so dass du mein Ja nicht hören kannst. Aber irgendwann wird es doch bei dir ankommen. Vielleicht hast du auch zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, so dass du meinem Ja nicht traust. Aber irgendwann wirst du erkennen, dass auf mich Verlass ist. Vielleicht möchtest du mein Ja auch gar nicht hören, aber du kannst mich trotzdem nicht daran hindern, dass ich dich lieb habe.“
Gott sagt Ja zu uns. Und dass dieses Ja gilt, sagt Paulus, dafür gibt es zwei verlässliche Zeugen.
Der eine Zeuge ist Jesus Christus. Er ist das Ja Gottes in Person. Wenn wir jetzt zu Weihnachten an das Kind in der Krippe denken, wenn wir uns am Karfreitag an den Mann am Kreuz erinnern, wenn wir zu Ostern die Auferstehung Jesu von den Toten feiern, dann vergewissern wir uns immer wieder, dass Gott Ja gesagt hat. Weihnachten wird eben nicht erst alle Jahre wieder unterm Baum entschieden, wie’s mal in der Werbung hieß, sondern die Entscheidung ist längst gefallen. Gott hat Ja gesagt, indem er Mensch wurde, und das ein- für allemal.
Der andere Zeuge ist unsere Taufe. Sie ist gemeint, wenn Paulus von „Salben“ und „Versiegeln“ spricht. Denn mit der Taufe gibt uns Gott sozusagen Brief und Siegel auf sein Ja. Mit ihr gilt es nicht mehr nur aller Welt, sondern jedem einzelnen ganz persönlich. Und wenn ich euch das Evangelium predigen will, dann muss ich euch eigentlich nur immer wieder sagen, dass ihr getauft sind. Mögen die meisten von uns sich auch nicht an unsere Taufe erinnern können, weil wir da noch zu klein waren: Gott erinnert sich sehr wohl daran. Und nicht nur bei uns hier, die wir öfter mal daran denken, sondern auch bei den vielen, die es völlig vergessen haben. Man kann also in der Gemeindearbeit die Taufe und die Erinnerung daran gar nicht wichtig genug nehmen. Nicht damit die Evangelische Kirche von Westfalen auch in Zukunft noch ein paar Kirchensteuerzahler hat. Sondern damit so viele Menschen wie möglich erfahren, dass Gott sie liebt und Ja zu ihnen sagt.
Gott sagt Ja: verheißen durch die Propheten, geschehen durch Jesus Christus, besiegelt durch die Taufe. Aber was antworten wir darauf? Was bleibt uns noch zu sagen und zu tun?
Paulus schreibt: „Wir sprechen auf Gottes Ja das Amen, zur Ehre Gottes.“ „Amen“ ist hebräisch und heißt: „Das ist wahr. Darauf ist Verlass.“ Juden sprechen dieses Wort am Ende eines Gebets, und wir Christen haben es von ihnen übernommen. Aber wir vergessen oft, dass früher am Ende eines Gebets, vor dem Amen, immer ein Lobpreis Gottes stand. So wie beim Vaterunser: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!“ Auf diesen Lobpreis bezieht sich das Amen, und nicht etwa auf unsere Bitten, die wir vor Gott bringen. Eigentlich können wir also nach einem Gebet, das nicht mit einem Lobpreis Gottes endet, gar nicht Amen sagen. Das nur als Denkanstoß am Rande. Aber auf jeden Fall wird dadurch deutlich, was Paulus meint, wenn er sagt, dass wir zu Gottes Ja das Amen sprechen. Mit dem Amen nehmen wir Gottes Ja an. Wir sagen: „Es stimmt, dass Gott mich liebt. Und ich verlass mich darauf.“ Wir lassen für uns wahr sein, was Gott in Jesus Christus getan hat und was er uns in der Taufe zugesprochen hat. Und dieses Amen ist immer damit verbunden, dass wir Gott loben, dass wir ihm unsere Dankbarkeit zeigen.
Das können wir auf verschiedene Weise tun. Zum Beispiel dadurch, dass wir für Gott Adventslieder singen oder spielen, uns zur Freude und Gott zur Ehre. Aber wir können auch durch unser Handeln zu erkennen geben, dass wir zu Gottes Ja unser Amen sagen. Zum Beispiel dadurch, dass wir nicht mehr „im Prinzip Ja“ sagen, wenn wir eigentlich „Nein“ meinen. Dass wir nicht mehr versprechen, als wir halten können. Dass wir auch tun, wovon wir überzeugt sind. Dass wir zu dem stehen, was wir gesagt und getan haben, auch wenn es uns nicht in positivem Licht erscheinen lässt. Dass wir ehrlich und verlässlich miteinander umgehen. Dass unser Ja ein Ja und unser Nein ein Nein ist.
Um eins müssen wir uns dabei keine Sorge machen: Gottes Ja bleibt bestehen, ob unser Amen nun eindrucksvoll klingt oder eher kläglich. Aber wenn das Amen kräftiger wird, dann findet das Ja mehr Gehör. Und das sollte unser größtes Anliegen sein. Gott wird uns dazu seinen Geist und seinen Segen nicht verweigern. Dafür sei er gelobt und gepriesen. Amen.
Ihr Pastor Martin Klein