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 GOTTESDIENST FÜR CHRISTI HIMMELFAHRTKlafelder Markt, 13.5. 2010Pfr. Dr. Martin Klein
 Text:
 Apg 1,3-12
 Nach seinemLeiden zeigte sich Jesus den Aposteln durch viele Beweise als der
 Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und
 redete mit ihnen vom Reich Gottes. Und als er mit ihnen zusammen
 aß, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten
 auf die Verheißung des Vaters, „die ihr“, so sprach er, „von mir
 gehört habt; denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt
 mit dem heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.“
 
 Die nun zusammengekommenwaren, fragten ihn und sprachen: „Herr, wirst du in dieser Zeit
 wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Er sprach aber zu ihnen:
 „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater
 in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr werdet die Kraft des heiligen
 Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und ihr werdet meine
 Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis
 an das Ende der Erde.“ Und als er das gesagt hatte, sahen sie, wie
 er aufgehoben wurde, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen
 weg.
 Und als sieihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen
 zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: „Ihr Männer von Galiläa,
 was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch
 weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr
 ihn habt gen Himmel fahren sehen.“ Da kehrten sie nach Jerusalem
 zurück vom Ölberg, der nahe bei Jerusalem liegt.
 An einem Satzbin ich hängen geblieben, als ich mich mit diesem Abschnitt aus
 der Apostelgeschichte beschäftigt habe. Er steht ziemlich am Ende
 des Textes. Da werden die Apostel von zwei Männern in weißen Gewändern
 gefragt: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum
 Himmel?“
 Nein, hab ichmir gedacht, als ich das gelesen habe, eines kann man uns Christen
 heute in Deutschland, in Siegen, in Geisweid bestimmt nicht nachsagen:
 dass wir dastehen und in den Himmel starren – nicht einmal dann,
 wenn wir freien Blick auf den Himmel haben wie heute hier auf dem
 Klafelder Markt. Der Vorwurf, dass wir wie so ein geistlicher Hans-guck-in-die-Luft
 durch die Gegend laufen, der würde uns nicht treffen. Wir schauen
 vielleicht mit verklärtem Blick in die Vergangenheit, als das Abendland
 noch christlich war (jedenfalls dem Anschein nach) und die Menschen
 noch besser zusammenhielten. Wir richten unser Augenmerk auf unseren
 Alltag: auf die tägliche Routine im Haushalt, am Arbeitsplatz, in
 unseren Gemeinden. Wir blicken sorgenvoll auf die roten Zahlen in
 den öffentlichen Haushalten – nicht nur in Griechenland –, auf den
 wachsenden Egoismus und das schwindende Verantwortungsbewusstsein
 vieler Menscheln. Und wir sehen zu, wie wir uns da selbst möglichst
 unbeschadet durchschlagen. Aber wir lassen uns bestimmt nicht dabei
 erwischen, dass wir sehnsüchtige Blicke gen Himmel werfen wie die
 Apostel damals. „Jesus, geh nicht weg“, sagen diese Blicke. „Wie
 sollen wir denn ohne dich zurecht kommen? Komm doch wieder, wir
 brauchen dich!“ Ähnliche Worte sprechen wir zwar auch noch. Wir
 beten „Dein Reich komme“ und „Dein Wille geschehe wie im Himmel,
 so auf Erden“. Aber wenn wir das tun, klingt nur selten echte Sehnsucht
 mit. Als evangelischer Christ deutscher Zunge bleibt man eben auch
 in Glaubensdingen lieber nüchtern und realistisch – erst recht,
 wenn man auch noch aus dem Siegerland kommt. Und deshalb rechnen
 wir im Grunde unseres Herzens eher nicht damit, dass der Himmel
 eingreift und uns von allen Sorgen befreit. Wenn wir uns dieser
 Einbildung hingeben würden, so denken wir, dann würde uns das nur
 davon abhalten, entschieden zu handeln und unsere Probleme tatkräftig
 anzupacken.
 Nein, zum Himmelschauen wir nicht. Insofern befolgen wir die Weisung der beiden
 Männer in den weißen Gewändern. Aber wenn wir das so tun, wie ich
 es eben beschrieben habe, dann haben wir vergessen, warum wir nicht
 zum Himmel zu schauen brauchen. Das steht in V.8 des Predigttextes.
 Zweierlei gibt Jesus seinen Aposteln dort mit für die Zeit, wenn
 er nicht mehr bei ihnen ist: „Ihr werdet die Kraft des heiligen
 Geistes empfangen, der auf euch kommen wird – das ist das eine.
 Und „ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa
 und Samarien und bis an das Ende der Erde“ – das ist das andere.
 Zunächst das erste:„Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen“. Kein Befehl
 ist das, kein Auftrag, sondern eine Verheißung. Lukas erzählt im
 nächsten Kapitel seiner Apostelgeschichte, wie diese Verheißung
 in Erfüllung geht. Da weht der Geist Gottes wie eine frische Brise
 durch die Reihen der Apostel und begeistert sie für die Sache des
 auferstandenen Christus. Und diese Begeisterung fließt über: Sie
 müssen reden von dem, was sie erfüllt. Alle können sie verstehen,
 jeder in seiner Sprache. Und viele lassen sich anstecken von Gottes
 Geist, von dem Vertrauen darauf, dass in Christus Heil und Leben
 zu finden ist.
 Warum ist davonbei uns Allianz-Christen hier und heute so wenig zu spüren? Warum
 weht der heilige Geist so kräftig in Brasilien oder in Südkorea,
 während er bei uns höchstens ein laues Lüftchen ist? Warum findet
 spürbare Begeisterung bei uns vielleicht bei der Fußball-WM statt
 oder bei Popkonzerten, aber nicht im Gottesdienst? Sicher, Gottes
 Geist weht, wo er will, und wir können ihn nicht herbeizwingen,
 erst recht nicht durch künstliche Stimmungsmache und aufgesetzte
 Fröhlichkeit. Aber die Verheißung Jesu gilt doch auch uns. Warum
 geschieht dann so wenig?
 Verhindern könnenwir das Wirken des heiligen Geistes nicht, denn es ist ja das Wirken
 Gottes. Aber Paulus sagt einmal, dass man den Geist „dämpfen“ kann.
 Ich glaube, genau das ist unser Problem. So wie wir unsere Wohnungen
 gegen Schall und Kälte isolieren, so isolieren wir oft, wenn auch
 ungewollt, unser Christsein gegen den Geist Gottes. Gottlob schaffen
 wir das nie vollständig. Sonst gäbe es uns schon nicht mehr. Trotzdem
 haben wir es auf diesem Gebiet zu einiger Perfektion gebracht. Wenn
 zum Beispiel irgendeine Veränderung ansteht, die neue Bewegung in
 unser festgefahrenes Glaubens- und Gemeindeleben bringen könnte,
 dann sagen wir erst einmal: „Das haben wir doch noch nie gemacht!“
 Dann tragen wir alles zusammen, was dagegen spricht, einschließlich
 passender oder passend gemachter Bibelstellen, und anschließend
 machen wir weiter wie bisher, solange es irgend geht. Wenn’s dann
 wirklich nicht mehr geht, ist die Chance des Neuen meist verpasst.
 
 Eine erfolgreicheIsolierung gegen den heiligen Geist erreichen wir auch durch die
 Einrichtung möglichst vieler Gremien – nach dem Motto: „Wenn ich
 nicht mehr weiter weiß, dann gründ ich einen Arbeitskreis.“ Oder
 einen Ausschuss. Oder eine Interessengemeinschaft. Oder ein Gesprächsforum.
 Und so weiter und so fort. Da wird dann jeder gute Neuansatz so
 lange hin- und hergewälzt und zerredet und auf geduldiges Papier
 geschrieben, bis nichts mehr von ihm übrig bleibt. Und die Beteiligten
 haben sich dabei so zerstritten, dass in Zukunft keiner mehr dem
 anderen über den Weg traut und alle sich gegenseitig nur noch im
 Weg stehen. So läuft es jedenfalls oft bei Kirchens. In freien Werken
 und Gemeinden ist das wahrscheinlich alles ganz anders – oder doch
 nicht? Na, dann willkommen im Club der Leidensgenossen! Kein Wunder,
 dass da keine Begeisterung aufkommen kann.
 Können wir dagegenetwas tun?  Ich denke ja. Wir könnten zum Beispiel damit anfangen,
 dass wir bei viel versprechenden Neuanfängen die Bedenken klein
 und die Chancen groß schreiben und mit Mut und Gottvertrauen neue
 Aufbrüche wagen. Und wenn wir selber am Alten hängen und damit zufrieden
 sind, dann sollten wir wenigstens andere nicht hindern, neue Wege
 zu beschreiten. Und bei unseren vielen Diskussionen sollten wir
 die Sache Jesu Christi in den Mittelpunkt stellen und nicht unsere
 Eigeninteressen und unser gegenseitiges Misstrauen. Und vor allem
 sollten wir nicht beides miteinander verwechseln. Könnte ja sein,
 dass wir dann schneller fertig sind und dass mehr dabei herauskommt.
 Das alles sind nur Ansätze zum Umdenken. Aber dazu müsste das, was
 an heiligem Geist zu uns durchdringt, eigentlich genügend Antriebskraft
 liefern. Gott gebe, dass wir uns darauf einlassen.
 Wenn das geschieht,wenn wir uns der Kraft des heiligen Geistes nicht entgegenstemmen,
 sondern uns von ihr tragen lassen, dann wird auch das zweite wahr,
 was Jesus sagt: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in
 ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.“ Auch das
 ist kein „Missionsbefehl“, sondern eine Verheißung. Die Apostelgeschichte
 erzählt, wie sie Stück für Stück in Erfüllung geht, wie die Apostel
 die Botschaft von Jesus Christus zuerst nach Jerusalem, dann nach
 ganz Palästina und schließlich in alle Welt bringen. Aber die Geschichte
 geht noch weiter. In der Bibel endet sie damit, dass Paulus nach
 Rom kommt. Aber Rom ist ja nicht das Ende der Erde. Heute wissen
 wir, dass die Erde eine Kugel ist. Also hat sie im Prinzip unendlich
 viele Enden. Und an einem Ende leben wir: jeder von uns als einzelner
 Christenmensch und wir zusammen als Gemeinde und als Evangelische
 Allianz. Dass wir an unserem Ende der Erde seine Zeugen sein werden,
 heute ganz konkret hier auf dem Klafelder Markt, das ist die Verheißung
 Jesu an uns. Und wenn wir der Kraft des heiligen Geistes vertrauen,
 dann wird sie sich auch durch uns erfüllen. Dann werden auch die
 Menschen hier in Geisweid und Umgebung merken, dass es dort Christen
 gibt, die begeistert sind von dem, was sie glauben, und die dabei
 doch eine Sprache sprechen, die sie verstehen. Und sie werden sich
 anstecken lassen von unserer Begeisterung. Ist das zuviel versprochen?
 Ich denke, wir sollten es mal darauf ankommen lassen.
 Jetzt ist ausmeiner Himmelfahrtspredigt unversehens eine Pfingstpredigt geworden.
 Aber das schadet nichts. Denn Christi Himmelfahrt heißt ja eben
 nicht, dass Jesus Christus nun weit weg ist – egal, ob wir das eher
 beruhigend oder eher traurig fänden. Sondern es heißt, dass er durch
 den heiligen Geist auf neue Weise zu uns kommt – so, wie ich es
 eben zu beschreiben versucht habe. Ein Kanon in unserem Gesangbuch
 beschreibt es etwas kürzer: „Der Himmel geht über allen auf, auf
 alle über, über allen auf.“ Dass wir das nicht nur singen, sondern
 dass es auch geschieht, das gebe Gott.
 Amen. |