Predigt Talkirche, ökumenischer Gottesdienst für den Buß- und Bettag, 19. November 2025

Text: Röm 2,1-11

Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. Wir wis­sen aber, dass Gottes Urteil zu Recht über die ergeht, die solches tun. Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber, mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen, häufst dir selbst Zorn an für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerich­tes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Zorn und Grimm aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehor­chen aber der Ungerechtigkeit; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die das Böse tun, zuerst der Juden und auch der Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die das Gute tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott.

Buße: Ein Hauch von finsterem Mittelal­ter umweht dieses Wort: König Heinrich IV., barfuß und frierend im Schnee vor der päpstli­chen Burg von Canossa. Die Geißler während der Großen Pest: schla­gen sich selber den Rücken blutig, um den Zorn Gottes abzuweh­ren. Was für ein Glück, denken wir da, dass es heute nur noch Bußgelder für zu schnelles Fahren gibt – für schlim­mere Verge­hen auch mal eine Haftstrafe, die man verbüßen muss. Aber auch so weckt das Wort Buße keine angenehmen Vorstellun­gen. Es ist also nicht gerade werbewirksam, wenn man einen Feiertag „Buß- und Bettag“ nennt. Kein Wunder, dass es keinen Aufschrei gab, als er staatlicherseits abgeschafft wurde. Die meisten dachten wohl: Freizeit­tauglich ist so ein Mittwoch im November eh nicht, und be­vor ich Buße tue, geh ich lieber arbeiten.

Dabei hätten wir sie wirklich nötig, die Buße, und das immer wieder. Nicht Buße im Sinne von Strafe, wie wir es meistens verste­hen, son­dern im biblischen Sinn: Umkehr, Sinnesänderung, Neuan­fang. Drei Dinge gehören dazu, sagt die klassische katholische Buß-Lehre, und da hat auch Martin Luther nicht widersprochen. Erstens aufrichtige Reue: „Es war falsch, was ich getan habe, und es tut mir von Herzen Leid.“ Zweitens ein offenes Bekenntnis: „Ja, ich bin schuld, ohne Wenn und Aber, und ich bitte um Vergebung.“ Und drittens prakti­sche Genugtuung: Schaden wiedergutmachen, wo es möglich ist, und vor allem in Zukunft anders handeln. Es täte uns und unserem Zusammenleben so was von gut, wenn das wirklich gelebt würde – in der Wirtschaft, in der Politik, in der Kirche.

Aber: Wann haben wir zuletzt erlebt, dass jemand in diesem Sinne Buße getan hat? Und wann haben wir es selber zuletzt getan? Der eine oder andere Katholik mag aus Gewohnheit noch zur Beichte gehen, aber soweit ich weiß, hat auch da die Nachfrage stark abgenom­men. Ansonsten: Fehlanzeige! Ein schlechtes Gewissen mögen wir ja gelegentlich noch haben – ob­wohl viele Missetäter so von sich überzeugt sind, dass ihnen selbst das abgeht. Aber offen zugeben, dass nicht die anderen und nicht die Verhältnisse, sondern wir selber an etwas schuld sind – und zwar nicht nur an dem, was ohnehin nicht mehr zu leugnen ist? Ehrlich um Vergebung bitten, über eine genuschelte Entschuldigung hin­aus? Und dann ernsthaft umkehren und unser Verhalten ändern, womöglich gar unser ganzes Leben? Wer macht denn so was?! Viel­leicht gibt es hier und da noch jemanden, der oder die das für sich persönlich hinkriegt. Aber je größer die Zusammenhänge werden, in denen Umkehr geschehen müsste, desto schwieriger wird es – weil die Dinge kompliziert sind, weil viele nicht mitziehen, weil die berühm­ten Sachzwänge es verhin­dern.

Natürlich war es früher auch nicht wirklich anders. Auch der Apostel Paulus wusste das schon, als er den Römerbrief schrieb. Er spricht uns einzeln an in unserem Predigttext, mit „du“, aber er meint uns alle. Auch er ist überzeugt, dass Buße keine Strafe, sondern eine Wohltat wäre, wenn sie denn geschähe. Es ist Gottes Güte, die uns dorthin führen will, sagt er, nicht etwa Gottes Zorn. Jahr um Jahr düngt und wässert er seine Feigenbäume und hofft geduldig darauf, dass sie endlich Früchte tragen. Aber er hofft vergebens. Denn wir verachten in der Tat den Reichtum seiner Güte und Langmut. Wir denken, dass wir schon selber klar kommen. Wir glauben, dass wir keine Umkehr nötig haben. Und selbst wenn uns bewusst wird, dass wir etwas ändern müssen – zum Beispiel unser Konsumverhalten, um das Klima zu retten: wir schaffen wir es einfach nicht, es auch zu tun – weil wir zu bequem sind, weil wir uns nicht aufraf­fen können, weil wir allein doch eh nix machen können, weil die anderen oder die da oben ja auch nix tun, und so weiter. Und so bleiben wir in unsere Schuld verstrickt und häufen immer mehr da­von an, bis wir eines Tages die Konsequenzen tragen müssen. Paulus spricht an dieser Stelle vom Gericht Gottes. Aber schon hier und jetzt hat das, was wir falsch machen, negative Folgen zuhauf, und irgendwann holen sie uns ein.

Wenn es dabei bliebe, wäre es ziemlich deprimierend. Dann könn­ten wir zwar theoretisch unsere Welt retten und uns gar mit guten Werken das ewige Leben verdienen, aber de facto würden wir alle daran scheitern, verstockt und unbußfertig, wie wir sind. Niemand kann sich selber entschuldigen, sagt Paulus. Niemand kann über andere zu Gericht sitzen, ohne sich selber zu verurteilen. Niemand kann aus eigener Kraft als Gerechter da stehen – nicht vor den Men­schen und erst recht nicht vor Gott. Wenn das alles wäre, wenn Paulus sonst nichts zu sagen hätte, dann gute Nacht!

Aber so ist es ja nicht, Gott sei Dank! Was Paulus schreibt, ist eben keine Bußpredigt im landläufigen Sinne – ebenso düster wie vergeb­lich. Sondern was er verkündigt, ist Evangelium, frohe Botschaft. Und die besagt, dass wir Menschen eben nicht durch unser Tun vor Gott gerecht werden, sondern dass Gott uns ihm recht sein lässt allein durch den Glauben, allein, indem wir ihm vertrauen. Das hat Paulus gleich am Anfang seines Briefes klar gestellt. Jetzt, in Kapitel zwei, ist er dabei zu begründen, warum es nur so und nicht anders geht: weil wir Menschen in unserer Trennung von Gott überhaupt nicht in der Lage sind, es ihm recht zu machen. Und in Kapitel drei benennt er das, was Gott selber an die Stelle unseres Versagens gesetzt hat: „Es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, und wer­den ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ (Röm 3,22-24) Die Wende, die wir nicht schaffen, vollzieht Gott also selber: Er wird in Jesus Mensch, er stirbt beladen mit unserer Schuld am Kreuz und schafft sie so aus der Welt, ein- für alle Mal. Er muss uns echt wahnsinnig lieb haben, wenn er das alles auf sich nimmt!

Wir müssen die Welt also nicht retten, und uns selber auch nicht. Gott hat sie und uns längst gerettet, und wir dürfen das einfach für uns wahr sein lassen, indem wir auf ihn allein unser Vertrauen set­zen. Und wenn das geschieht, dann können wir auch in rechter Weise Buße tun. Wir können unsere Schuld einsehen und bereuen, wir können offen dazu stehen und um Vergebung bitten, weil wir darauf vertrauen, dass Gott in Christus unsere Schuld längst getra­gen und überwunden hat. Und dann können wir befreit das Alte hinter uns lassen und neue Wege gehen. Das geschieht ja auch im­mer mal wieder: Jemand lässt seine ungute Vergangenheit hinter sich und fängt ein neues Leben an – oder zumindest ein neues Kapi­tel. Alte Feinde hören auf, sich gegenseitig die Schuld aufzurechnen und versöhnen sich. Menschen sehen ein, wo sie mit ihrem Verhal­ten Schaden verursachen und bemühen dich um ein Leben im Ein­klang mit der Natur und mit ihren Mitmenschen. Und gelegentlich lernt sogar ein ganzes Volk – na ja, sagen wir: fast ein ganzes Volk, dass es unermessliche Schuld auf sich geladen hat und alles dafür tun muss, damit so etwas nie wieder geschieht. Ich bin überzeugt: Überall, wo auf solche Weise Umkehr geschieht, da ist Gott am Werk, da belohnt er sich sozusagen selber für seine Güte, Langmut und Geduld, indem er Menschen zur Buße leitet. Und wir können ihn nur bitten, dass er das immer wieder tut und bei uns selber da­mit anfängt: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen beständigen Geist. Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dir Ehrfurcht erweise.“ (Ps 51,12; 130,4) Amen.

Ihr Pastor Martin Klein