Gottesdienst für den Ostermontag
Text: Jes 25,6-10a
Und der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der Herr hat‘s gesagt. Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.« Denn die Hand des Herrn ruht auf diesem Berge.
Für mich ist dieser Text eine der großartigsten Verheißungen des Alten Testaments. Sie reizt mich dazu, mir die Szene auszumalen, die hier geschildert wird. Ich stelle mir den Berg Zion in Jerusalem vor. Früher stand dort der jüdische Tempel, heute der muslimische Felsendom, der zwischenzeitlich auch mal eine christliche Kirche war. Es gibt wohl keinen anderen Ort auf Erden, der so vielen Menschen heilig war und ist. Aber in seiner über 3000-jährigen Geschichte hat auch kaum ein anderer Ort so viel Gewalt und Zerstörung gesehen. An diesen heilig-unheilvollen Ort lädt nun Gott alle Völker der Erde zum Festmahl ein. Dort, wo heute nicht einmal zwei Völker miteinander in Frieden leben können, soll die ganze Welt friedlich am Tisch sitzen: Israelis und Palästinenser, Russen und Ukrainer, Amerikaner und Chinesen. Und was Gott ihnen da servieren lässt, das stellt auch das erlesenste Gala-Diner weit in den Schatten. Der beste Wein ist gerade gut genug – aber bestimmt gibt es für die Freunde hiesiger Brau-Kunst auch frisch gezapftes Bier. Und das Fleisch, saftig und nahrhaft, stammt von ausgesuchten Bio-Höfen und enthält garantiert nichts, was nicht auf der Packung steht – was nicht heißt, dass für Veganer nicht auch köstliche Linsen- und Tofu-Gerichte im Angebot sind – und natürlich herrliches Obst und Gemüse, sonnengereift und ungespritzt.
So üppig und wunderbar ist dieses Festmahl, dass im Handumdrehen alle Sorgen wie weggeblasen sind. Da ist nichts mehr, was belastet und trennt. Ehemalige Kriegsgegner trinken Brüderschaft und vergessen ganz, einander ihre Schuld aufzurechnen. Für notorische Streithähne spielt es keine Rolle mehr, dass sie sich mit „denen“ nie an einen Tisch setzen wollten. Und die Armen können sich kaum noch erinnern, dass sie von so einem Festmahl früher nur träumen konnten. Trauernde vergessen ihre Tränen, Kranke ihre Schmerzen, Einsame ihre Niedergeschlagenheit, Wutbürger ihre Wut. Das alles zählt nicht mehr jetzt, wo Gott ihnen allen einen Tisch bereitet im Angesicht ihrer Feinde.
Und das Schönste ist: Dieses Fest wird kein Ende haben, denn Gott „wird den Tod verschlingen auf ewig“. Das ist eine erstaunliche, eine einmalige Aussage im Alten Testament. Sonst ist es dort immer der Tod, der die Lebenden verschlingt und nicht wieder hergibt. Aus dem Totenreich gab es für das alte Israel keine Wiederkehr. Und genauso erleben wir es ja immer noch: Wie viele Menschen, die wir gut kannten und die wir lieb hatten, hat der Tod schon verschlungen – vielleicht gerade eben erst! Und längst nicht immer war es ein gnädiger Tod nach einem langen und erfüllten Leben. Bei vielen ist die Trauer noch da und tut der Verlust noch weh, obwohl er vielleicht schon lange her ist. Wie viele Tote kommen aber auch in einer einzigen Nachrichtensendung zusammen: Kriegs- und Terror-Tote, Hunger-Tote, Katastrophen-Tote, Unfall-Tote. Ganz zu schweigen von den Vielen, die der Tod schon mitten im Leben verschlingt. Weil sie nur noch funktionieren, aber nicht mehr wirklich leben. Weil keiner da ist, der ihr Leben mit ihnen teilt. Weil die Zukunft für sie nur noch leer und trostlos ist. Der Tod lässt keinen aus – das scheint das einzige zu sein, was auf Erden wirklich gewiss ist.
Aber hier, in der Verheißung aus dem Jesaja-Buch, wird der Spieß nun umgedreht: Der Tod, der alle verschlingt, wird selber verschlungen. Er verliert seine Macht und seinen Schrecken. „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Tod, wo ist dein Sieg?“ so hat Paulus es ausgedrückt.
Eine großartige Verheißung. Eine mitreißende Vision. Aber ist das alles nicht doch nur ein schöner Traum? Zu schön, um wahr zu sein oder jemals wahr zu werden? Zwar hat der medizinische Fortschritt schon einiges erreicht, um Krankheiten zu überwinden und Leben zu verlängern. Manche arbeiten sogar schon daran, Alterungsprozesse in Zukunft ganz stoppen zu können. Aber ob der Tod sich jemals wirklich überwinden lässt? Ich glaub nicht dran! Und erst recht werden Leid und Not, Trauer und Tränen so nicht aus der Welt geschafft. Nein, wie es aussieht, hat der Tod uns immer noch fest im Griff, und von uns aus werden wir das nicht ändern können.
Aber Gott kann es. Ja noch mehr: er hat es schon getan. Dafür müssen wir dem Bild aus dem Alten Testament allerdings noch einen entscheidenden Zug hinzufügen. Im Text heißt es: „Zu der Zeit wird man sagen: Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften.“ Man kann Gott also anschauen bei diesem Fest. Er ist mit dabei. Er hat die Hülle weggezogen, die ihn vor den Augen der Welt verbirgt, und feiert mit allen Völkern der Erde. Und das ist für mich dann kein bloßer Traum, wenn Gott dabei die Züge Jesu trägt. Denn Jesus ist es ja, in dem Gott für uns Menschen anschaulich wird, in dem er sich uns unverhüllt zeigt, so wie er ist. So sagt es uns das Neue Testament. Das will es uns vermitteln mit der Botschaft, dass Gott Jesus, seinen Sohn, von den Toten auferweckt hat. Und das feiern wir jetzt zu Ostern. Ich stelle mir also vor, dass Jesus Christus beim Festmahl auf dem Zion auf dem Platz Gottes sitzt. Er ist der Gastgeber, und er macht wahr, was er seinen Jüngern beim Abschiedsmahl versprochen hat: „Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich neu davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich.“
Und wenn er dort sitzt, Jesus Christus, der Auferstandene, der durch den Tod zum Leben hindurchgedrungen ist, dann wird aus dem schönen Traum eine lebendige Hoffnung. Dann ist das alles nicht nur Zukunftsmusik, sondern es fängt hier und jetzt schon an. Dann ist jedes Osterfest, aber auch schon jeder Sonntag, den wir feiern, ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kommt. Dann weist jedes Stück Versöhnung hier auf Erden schon hin auf das große Versöhnungsmahl im Reich Gottes. Dann ist jedes Bisschen Frieden ein Baustein für den Saal, in dem Gott mit uns sein großes Friedensfest feiert. Dann können wir jetzt schon anfangen, unsere Streiterei zu begraben und miteinander zu teilen, weil wir wissen, dass wir am Ende alle an einem Tisch sitzen werden. Dann ist jede Tat der Nächstenliebe ein Zeichen für den kommenden Festtag Gottes.
Noch ist es nicht so weit. „Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt“, hat Ernesto Cardenal gedichtet. „Aber wir sind eingeladen. Wir sehen schon die Lichter und hören die Musik.“ Also lasst uns aufbrechen, uns auf den Weg machen dorthin, wo wir das Licht sehen und die Musik hören. Und lasst uns alle mitnehmen, die uns auf dem Weg dorthin begegnen – unsere Lieben, aber auch die Unliebsamen, unsere Freunde, aber auch unsere Gegner, die, an denen uns etwas liegt, und die, die uns egal sind. Denn die Einladung gilt jeder und jedem, und Gottes Festtafel hat Platz für alle. Wir werden noch staunen, wen wir da alles treffen werden! Amen.
Ihr Pastor Martin Klein